Anlässlich des internationalen Frauentages am 8. März möchten wir einen den Blick auf zwei Namensgeberinnen von Straßen auf dem Telekom-Campus in Darmstadt werfen. Tagtäglich begegnen wir dort den Namen Ida Rhodes und Mina Rees. Doch was wissen wir eigentlich über diese Frauen? Warum finden wir gerade ihre Namen auf dem Telekomgelände?
Werfen wir einen Blick zurück in die Lebenszeit der beiden Frauen, die beide kurz nach der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert geboren wurden und aufwuchsen. Die Jahrzehnte davor waren gezeichnet von Veränderung, Entwicklung und Modernisierung. Die Produktions- und Arbeitsbedingungen hatten sich grundlegend gewandelt. In vielen Ländern hatte ein enormer wirtschaftlicher Aufschwung eingesetzt, die Industrialisierung schritt stark voran. Diese Entwicklungen wurden von vielen Menschen als bedrohlich empfunden und die Sittlichkeit wähnte man in höchster Gefahr.
Nach wie vor herrschten große Ungleichheiten zwischen Mann und Frau. Der Mann galt als Versorger der Familie. Ihm wurden Eigenschaften wie männliche Aktivität, Energie, Willenskraft und Stärke zugesprochen. Die Frau hingegen galt als treu sorgende Ehefrau und Mutter. Ihre Attribute waren Passivität, Schwäche, Bescheidenheit, Geduld und Nachgiebigkeit. Sie hatte sich um „die drei K“ zu kümmern, um Kirche, Küche, Kinder.
Erst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts stieg die Zahl der beruflich ausgebildeten Frauen in vermögenden Kreisen. Diese Frauen hatten unter anderem die Möglichkeit Lehrerin oder Kindergärtnerin zu werden. Da aber weibliche Berufstätigkeit strikt auf die Zeit vor der Ehe beschränkt war (strikt nur bei Beamtinnen, siehe Personalabbauverordnung von 1923), etablierte sich die Anrede „Fräulein“. Wollte eine berufstätige Lehrerin oder Kindergärtnerin im Laufe ihres Lebens einmal heiraten, musste sie ihren Beruf aufgeben. In Deutschland wurde dieses Verbot erst 1919 zögernd gelockert. Das Recht, ihren Frauen Erwerbstätigkeit zu untersagen, hatten in Deutschland Ehemänner noch bis 1957.
Zurück zu den beiden Frauen, nach denen Straßen auf dem Telekom-Campus benannt sind:
Ida Rhodes wurde am 15. Mai 1900 in einem kleinen jüdischen Dorf in der Ukraine geboren. Die örtliche Gutsbesitzerin, eine russische Gräfin, förderte ihre Bildung und ihr naturkundliches Interesse. Im Jahr 1913 emigrierten Ida Rhodes’ Eltern mit ihr in die USA, wo sie ab 1919 an der Cornell University Mathematik studierte. Sie machte 1923 innerhalb eines Jahres sowohl den Bachelor als auch den Master, obwohl sie tagsüber 12 Stunden als Krankenschwester im Hospital arbeitete und abends die Mathematikvorlesungen besuchte. Sie selbst sagte später dazu, dass sie nicht Physik oder Chemie studieren konnte, weil beide Fächer tagsüber stattfindende Laborpraktika verlangten.
In den folgenden Jahren arbeitete sie an wechselnden Stellen, bis sie im Jahre 1940 von Gertrude Blanch in das New Yorker Mathematical Tables Project geholt wurde. Dieses Beschäftigungsprogramm für arbeitslose MathematikerInnen stellte das weltweit größte Projekt zur Produktion mathematischer Tafelwerke dar. Rhodes´ Aufgabe war es, zusammen mit einigen wenigen akademisch ausgebildeten MathematikerInnen (weitere Frauen dort waren Irene Stegun und Ruth Zucker) die formalen Grundlagen für qualitativ hochwertige und fehlerfreie Ergebnisse der arbeitsteilig mit Tischrechenmaschinen, Papier und Bleistift oder Lochkartenautomaten durchgeführten Berechnungen zu schaffen.
Im Jahr 1947 wechselte sie zu den neu gegründeten National Applied Mathematics Laboratories des National Bureau of Standards (NBS) in Washington. Eine ihrer ersten Aufgaben war es, ein Machine Development Laboratory mit aufzubauen und später andere Regierungsstellen zum Einsatz früher Computersysteme zu beraten. Sie war maßgeblich an der Realisierung des SEAC-Rechners beteiligt. Als Anfang der 1950er Jahre das NBS den ersten kommerziellen Rechner, eine Univac I, erhielt, um die Volkszählung von 1950 auszuwerten, entwickelte und implementierte Rhodes die Assembler-Sprache C-10. Hiermit entwickelte sie das ursprüngliche Programm für die Sozialversicherungsbehörde der USA.
Rhodes war auch eine Pionierin bei der Anwendung von Computern zur Übersetzung von Fremdsprachen. Sie hatte insbesondere das Potenzial von nicht-mathematischen Anwendungen erkannt und beschäftigte sich mit den literarischen Zukunftsvisionen dieser Jahre. Im Gegensatz zu Dystopien wie beispielsweise George Orwells Erzählung „1984“ (fertiggestellt im Jahre 1948) besaß sie ein unerschütterliches Vertrauen in die positiven sozialen Auswirkungen von neuer Technik.
Im April 1952 präsentierte sie in einem Konferenzvortrag mit dem Titel „The Human Computer´s Dreams of the Future“ ihre Vision der Nutzung von elektronischen Computern, womit sie Computern in unserer heutigen Welt erstaunlich nahe kam: sie beschrieb Arbeitsplatzrechner, höhere Programmiersprachen, vernetzte Rechner mit Servern und Clients, die Allgegenwart von Bildschirmen und graphische Schnittstellen. Selbst Wände in Privaträumen oder im Büro zur Projektion von Arbeitskontakten oder privater Kunst sah sie voraus, genauso wie die Verarbeitung von digitalisierten Texten, Videos und Ton per Computer. Und nicht zuletzt würden die Arbeitsplätze der ProgrammiererInnen große sonnige Büros sein. Auch wenn sie in der konkreten Umsetzung Technik beschrieb, die nur drei Jahre später bereits verworfen war, so zeichnete sie eine Zukunft, die sich über fünfzig Jahre lang als konstante Perspektive unzähliger ComputerwissenschaftlerInnen erwies.
Bis 1964 war Ida Rhodes im NBS beschäftigt und im Ruhestand blieb sie weiter bis 1971 beratend mit der Organisation in Verbindung. In diesen Jahren führte sie eine immense internationale Korrespondenz, zugleich engagierte sie sich sozial für jüdische Einrichtungen. Am 01. Februar 1986 starb Ida Rhodes.
Am Wirken von Ida Rhodes wird deutlich, dass nicht erst in den 60er oder 70er Jahren, sondern bereits mit den Gedanken und Erfahrungen der menschlichen RechnerInnen die Zukunft des Informationszeitalters artikuliert sowie in Maschinen und Institutionen umgesetzt wurde.
Mina Rees wurde am 2. August 1902 in Cleveland, Ohio, geboren, wuchs aber in New York City auf. Sie studierte Mathematik am Hunter College und erwarb 1923 den Master-Abschluss an der Columbia University. Beim Studienabschluss wurde ihr deutlich gemacht, dass Frauen als Doktorandinnen an dieser Universität nicht erwünscht seien. Deshalb nahm sie zunächst eine Stelle als Mathematikdozentin an der Hunter High School an. Ihren Wunsch zu promovieren gab sie allerdings nicht auf: von 1929 via 1931 ließ sie sich beurlauben und verfasste ihre Doktorarbeit an der Universität von Chicago. Sie kehrte zurück zum Hunter College und wurde zur Professorin befördert.
Während des 2. Weltkriegs ließ sie sich wiederum beurlauben, um 1943 in Washington die Stelle der geschäftsführenden Assistentin beim Leiter des Applied Mathematics Panel zu übernehmen. In diesem Gremium waren von der US-Regierung bedeutende Mathematiker zusammengezogen worden, um militärische Forschungen und Anwendungen in mathematischen Fragen zu beraten. Beispielsweise beschäftigte sie sich in Projekten mit Strömungsproblemen bei der U-Bootabwehrtechnik oder bei Raketenantrieben. Für ihre Arbeiten wurde sie später sowohl von der US- wie auch der britischen Regierung hoch geehrt.
Nach dem Krieg bot ihr die US-Navy die Leitung der mathematischen Abteilung am neu geschaffenen Office of Naval Research an. Von hieraus beriet sie die Regierung und andere staatliche Stellen maßgeblich bei der Förderung neuer Computerprojekte. Dies bezog sich nicht nur auf Entwicklungsprojekte von Rechnern. Vielmehr engagierte sie sich sehr erfolgreich für neue hiermit verbundene mathematische Forschungsrichtungen, beispielsweise zur Numerischen Analysis.
Im Jahre 1953 kehrte sie zurück zum Hunter College und übernahm die Position einer Dekanin. Zugleich blieb sie beratend tätig, unter anderem als Leiterin des Mathematik-Komitees des National Bureau of Standards (1953-56), als Mitglied der Mathematik-Abteilung des National Research Council und von 1964-1970 als Mitglied des National Science Board. In diesen Jahren konzentrierte sie ihr Engagement auf die Verbesserung der Hochschulausbildung in den USA. 1961 wurde sie Professorin an der neu gegründeten City University von New York, wo sie schließlich von 1969 bis zur ihrer Pensionierung 1972 als Präsidentin der Graduate School vorstand. Zur selben Zeit übernahm sie als erste Frau den Vorsitz der American Association for the Advancement of Science.
Mina Rees war noch viele Jahre lang forschend und beratend aktiv, sie erhielt zahlreiche wissenschaftliche und politische Auszeichnungen. In den achtziger Jahren half sie intensiv mit, die Entstehungsgeschichte der ersten elektronischen US-Computer zu dokumentieren. Sie starb am 25. Oktober 1997.
Ida Rhodes und Mina Rees waren zwei herausragende Frauen, die in einer noch viel stärker als heute männlich dominierten Berufswelt erfolgreich ihren Weg gingen. Vielleicht sehen wir mit diesem Wissen die nach ihnen benannten Straßen unter einem anderen Aspekt.
„Mein Gefühl ist, dass man sich niemals unter Druck setzen sollte. Wenn Du nicht etwas machen kannst, das gut ist, mach es überhaupt nicht.“ – Ida Rhodes
Die Verordnung zur Herabminderung der Personalausgaben des Reichs, kurz Personal-Abbau-Verordnung, vom 27. Oktober 1923 (RGBl. I S. 999) legte die Entlassung von Beamtinnen im Falle der Eheschließung fest und traf Regelungen zur Pension von Beamten in der Weimarer Republik. Durch diese Verordnung wurde die schon vorher gängige Praxis, Beamtinnen zu entlassen, wenn sie heirateten oder ein uneheliches Kind bekamen, legalisiert.
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