Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) löst in Deutschland bei der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) allergische Reaktionen aus. Unternehmen sollen verpflichtet werden, die volle Arbeitszeit aller Beschäftigten systematisch zu erfassen. Der BDA erklärt: „Wir Arbeitgeber sind gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert.“ Das klingt vielleicht „fortschrittlich“, ist es aber nicht.
Weg vom 8-Stunden-Tag?
Schon 2015 hat der BDA die Bundesregierung aufgefordert, den Acht-Stunden-Tag aus dem Arbeitszeitgesetz zu streichen. Hans Peter Wollseifer, Handwerkspräsident: „Die Digitalisierung wirkt sich natürlich auch auf die Arbeitszeiten aus. Ein zu enges Arbeitszeit-Korsett und zu starre und unflexible arbeitsrechtliche Vorschriften tun der Wirtschaft nicht gut.“
Jetzt wurde noch nachgelegt: In einem Positionspapier des BDA unter der Überschrift „New Work – Zeit für eine neue Arbeitszeit“ wird gegen die Aufzeichnungspflicht und das EuGH-Urteil geschossen. Das Arbeitszeitgesetz soll von einer täglichen Höchstarbeitszeit von 10 Stunden auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umgestellt werden. Der Acht-Stunden-Tag soll abgeschafft werden, die im Arbeitszeitgesetz vorgeschriebene Ruhepause zwischen zwei Arbeitseinsätzen von elf auf neun Stunden reduziert werden. Das würde bedeuten, dass die Beschäftigten an einzelnen Tagen deutlich länger als bisher arbeiten „dürften“ – die Unternehmer nennen das „Flexibilisierung“. In der Praxis: noch mehr Arbeitsdruck für den Einzelnen, noch mehr Flexibilität für das Unternehmen.
Realität
Jeder vierte Beschäftigte arbeitet am späten Abend zwischen 18 und 23 Uhr. Im Jahr 1992 war es noch jeder siebte. Das stellt eine Untersuchung des Statistischen Bundesamts fest. Auch die Nachtarbeit hat demnach zugenommen: heute muss fast jeder Zehnte nachts zwischen 23 und 6 Uhr arbeiten. Im Jahr 2016 haben die Beschäftigten nach DGB-Angaben 941 Millionen unbezahlte Überstunden geleistet. Beschäftigte werden immer häufiger über Benchmarks und Zahlen geführt. Unternehmen legen Ziele fest, die Mitarbeiter müssen diese erreichen. Und das so billig wie möglich. Wie sie das Ziel erreichen, das bleibt den Beschäftigten überlassen. Der Chef steht ihnen allenfalls als „Coach“ beiseite. Ein Coach, der allerdings bei als unzureichend betrachteter Leistung auch kündigen kann.
Mittelalter
Der BDA versucht in seinem Positionspapier den Eindruck zu erwecken, seine Arbeitszeitvorstellungen seien zeitgemäß, sogar fortschrittlich. Die Digitalisierung lasse keine andere Option zu.
In letzter Konsequenz sind die BDA-Vorstellungen allerdings mit den Arbeitszeiten eines Knechtes im Mittelalter vergleichbar. Dieser ging zur Arbeit aufs Feld und kam erst zurück, wenn die Arbeit erledigt war – und bekam dann, wenn er einen guten „Herrn“ hatte, was zum Essen.
Zurück in die Zukunft
Im September 1866 wurde auf Vorschlag von Karl Marx auf dem Genfer Kongress der Ersten Internationale unter anderem der gesetzliche Acht-Stunden-Tag gefordert, „um die Gesundheit und die körperliche Energie der Arbeiterklasse wiederherzustellen … und die Möglichkeit geistiger Entwicklung, gesellschaftlichen Verkehrs und sozialer und politischer Tätigkeit zu sichern.“
Diese Forderung ist aktuell wie nie, gerade in Zeiten der Digitalisierung. Eine weitere Entgrenzung des Arbeitstages muss verhindert werden. Deshalb müssen die Forderungen des BDA klar zurückgewiesen und auf allen Ebenen bekämpft werden.
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