ver.di-Betriebsgruppe Telekom Südhessen

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Was wir zur Erosion beisteuern I: Lange Laufzeiten und LOI‘s

Neben diesen äußeren Faktoren gibt es auch solche, die ihre Ursache im Handeln der Gewerkschaften haben. Zu diesen inneren Faktoren zählen:

Lange Tarifvertragslaufzeiten
Während der Tarifauseinandersetzungen und besonders während Warnstreiks oder gar Erzwingungsstreiks wird die Bedeutung durchsetzungsstarker Gewerkschaften unmittelbar erfahrbar. Die organisierten Beschäftigten beteiligen sich an den Aktionen. Kolleginnen und Kollegen, die bisher noch nicht organisiert waren, treten der Gewerkschaft bei. Je seltener diese Aktivitäten werden, desto schwieriger wird es, die Notwendigkeit von Gewerkschaften deutlich zu machen und Beschäftigte für die Gewerkschaft und gewerkschaftliche Aktionen zu gewinnen. In den letzten Jahren ist bei vielen DGB-Gewerkschaften, auch bei ver.di, eine unglückliche Tendenz zu beobachten. Die Laufzeiten der Tarifverträge werden länger. Die Zeiten, in denen jährlich Tarifauseinandersetzungen stattgefunden haben, sind längst vorbei. Inzwischen ist es schon als Erfolg zu werten, wenn die Laufzeit nicht mehr als 24 Monate beträgt.

Argumentativ werden diese langen Laufzeiten damit begründet, dass nur so ein „hohes“, der Forderung sich näherndes Verhandlungsergebnis darstellbar, das soll heißen in Verhandlungen erreichbar sei.
Bei der nächsten Tarifauseinandersetzung 2022 werden die Kolleginnen und Kollegen seit 4 Jahren keinen Arbeitskampf geführt haben. Viele aktive und engagierte Vertrauensleute werden das Unternehmen durch ATZ oder Vorruhestand verlassen haben. Viele Nachwuchskräfte werden während ihrer Ausbildung nie die Gelegenheit gehabt haben, sich aktiv an einer Tarifauseinandersetzung zu beteiligen. Ihnen fehlt damit ein Erfahrungswissen, ein Wissen durch Erfahrung, in Bezug auf Tarifauseinandersetzungen und die Stellung der Beschäftigten darin.

Konflikte, die nicht über Arbeitskämpfe geklärt werden
Der Verlust an struktureller Macht auf Grund der äußeren Faktoren verstärkt die Tendenz, Auseinandersetzungen ohne Arbeitskämpfe zu lösen. Insbesondere bei Organisationsänderungen, die tarifvertraglich nur über Umwege geregelt werden können, finden informelle Verhandlungen statt, beispielsweise über die Unternehmensmitbestimmung (Aufsichtsräte) oder in sogenannten Spitzengesprächen.

In diesen Verhandlungen verständigen sich dann Arbeitgeber und Gewerkschaft auf Kompromisslösungen, die für beide Seiten als Erfolg dargestellt wird. Ein ernsthaftes Druckmittel steht den Gewerkschaften bei diesem Vorgehen nicht zur Verfügung. Hier beschränken sich die Mittel im Wesentlichen auf Appelle an die Kapitalvertreter.
Da Verhandlungen in diesen Bereichen in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden (Geheimhaltungsverpflichtung bei den Arbeitnehmervertreter*innen im Aufsichtsrat), findet auch keine Beteiligung der Gewerkschaftsmitglieder oder der Beschäftigten statt. Am Ende steht ein Ergebnis, das vollkommen unabhängig davon erzielt wurde, ob die Beschäftigten bereit sind, für ihre Interessen und Forderungen zu streiken oder wenigstens auf die Straße zu gehen.
Der Verzicht auf das Mittel des Streiks oder wenigstens des Warnstreiks führt so dazu, dass Beschäftigte die Gewerkschaft nicht mehr als mächtige Organisation zur Durchsetzung der eigenen Forderungen wahrnehmen, die nur dann funktioniert, wenn die Beschäftigten sich in die Kämpfe und Auseinandersetzung aktiv einbringen.

Hier unsere Fragen für die Diskussion:

Was ist euch lieber: jedes Jahr streiken oder doch nicht so oft?

Was ist euch wichtiger: Gute Verhandlungsergebnisse oder gute Streiks?