ver.di-Betriebsgruppe Telekom Südhessen

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Wie wirkt sich die Digitalisierung auf unsere tarifpolitische Durchsetzungsfähigkeit aus?

Die Arbeitswelt befindet sich derzeit in einer tiefgründigen Umbruchphase. Nach der Einführung von Dampfmaschinen, Fließbändern und der Datenverarbeitung zeichnet sich die sog. vierte industrielle Revolution durch die informationstechnische Vernetzung über den gesamten Wertschöpfungsprozess der Produktion von Gütern und Dienstleistungen aus. Nachdem in den vergangenen Jahren bereits einzelne Prozesse mittels IT-Unterstützung weitgehend automatisiert wurden, sind derzeit die Schnittstellen zwischen den Prozessen im Fokus von Digitalisierungsbestrebungen. Über die beschäftigungspolitischen Auswirkungen dieser Digitalisierung wird derzeit kontrovers diskutiert. Allerdings lassen sich bereits jetzt Trends der Veränderungen erkennen:

  • Für die Beschäftigten, die unter indirekter Steuerung arbeiten, werden die Gestaltungsmöglichkeiten weiter zunehmen. Dabei steigt aber das Risiko von zunehmendem Leistungsdruck durch die damit verbundene Ergebnisorientierung.
  • Die Digitalisierung der Arbeitswelt wird die Spaltung unter den Beschäftigten vertiefen, und das in mehrfacher Hinsicht. Weiterhin wird es eine Gruppe von Beschäftigten geben, die von der Digitalisierung abgehängt ist. Während diese Gruppe durch die Digitalisierung der Prozesse noch weiter in ihrer Produktivität überwacht wird, wird der Bereich der Tätigkeiten, die schon bisher unter indirekter Steuerung geführt wurden, immer größer.
  • Während bei früheren Rationalisierungswellen vor allem Tätigkeiten mit einfacher Qualifikation betroffen waren, werden durch die Digitalisierung auch gut qualifizierte Arbeitsplätze bedroht.
  • Da digitalisierte Arbeit oft ortsungebunden ist, wird der Betrieb als örtlicher sozialer Raum deutlich an Bedeutung verlieren. Mobile Arbeitsformen und virtuelles Zusammenarbeiten werden zunehmen.

Welche Auswirkungen auf die tarifpolitische Durchsetzungsfähigkeit lassen sich aus diesen Trends ableiten?

  • Tätigkeitsbereiche, bei denen der ver.di Fachbereich TK/IT im Telekom-Konzern bisher hohe Organisations- (Anteil der Beschäftigten, die Gewerkschaftsmitglied sind) und Mobilisierungsgrade (Anteil der Beschäftigten, die sich an Streiks beteiligen) erzielte wie im Außendienst, bei den Technik-Niederlassungen und im Service werden in Zukunft eine geringere Rolle in der Wertschöpfungskette spielen. Dabei ist es zwar nicht zum vorhergesagten abrupten Beschäftigungsabbau gekommen (der sog. „Abbruchkante“), der schleichende Prozess ist aber abzusehen.
  • Dafür werden vor allem in den projekt- und entwicklungsorientierten Bereichen größere Wertschöpfungsanteile liegen. In diesen weitgehend von indirekter Steuerung geprägten Tätigkeitenhaben die Beschäftigten lange Zeit im tarifpolitischen Windschatten der gut organisierten Bereiche von Tarifergebnissen profitiert, zu denen sie mangels ausreichendem Organisations- und Mobilisierungsgraden nur wenig beitragen konnten.
  • Der in den letzten Jahren begonnene Prozess, Zusammenarbeit durch die Nutzung digitaler Vernetzungstechniken zu virtualisieren, um dann physische Arbeitsplätze durch die Einführung von Mobile Working und Desk Sharing einzusparen, hat durch die Corona-Pandemie deutlich an Dynamik zugenommen. Der Telekom-Vorstand möchte diese Dynamik mit dem Programm „New Normal“ nutzen, um die Immobilienkosten im Konzern weiter zu senken. Für uns bedeutet das, dass die bisherigen Ansprache- und Informationsmethoden, die weitgehend auf den persönlichen Kontakt  der Vertrauensleute am Arbeitsplatz angelegt waren, kaum noch funktionieren werden. Auch Streiktaktiken, die auf eine langfristige Geheimhaltung der Streiktermine und die Information der Beschäftigten durch das Aushändigen der Streikaufrufe durch Streikposten setzten, wird in weitgehend virtualisierten Arbeitsformen nicht funktionieren.

Wir sehen: Die Digitalisierung hat unmittelbare Auswirkungen auf die gewerkschaftlichen Machtressourcen. Was tun?

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Gewerkschaftsarbeit werden wir nicht aufhalten können. Deshalb müssen wir uns fragen, wie wir unsere Methoden anpassen müssen, damit wir weiterhin (oder wieder) in der Lage sind, tarifpolitische Ziele in Arbeitskämpfen durchzusetzen. Wir müssen uns unter anderem fragen:

  • Mit welchen Themen und Methoden organisieren wir die Kolleg*innen in den Bereichen, die bisher noch nicht arbeitskampffähig sind?
  • Wie müssen wir unsere Arbeit und Kommunikation verändern, damit wir auch in virtuellen Betrieben weiterhin die Kolleg*innen erreichen?
  • Wie müssen Mobilisierungen und Streiks in Zukunft gestaltet werden, damit wir weiterhin (oder wieder) durchsetzungsfähig werden?