In der letzten Folge hatten wir begonnen, innere Faktoren für die Erosion der strukturellen Macht der Gewerkschaften zu beschreiben – hier sind zwei weitere Faktoren:
Ritualisierte Formen der Auseinandersetzungen
Im ver.di-Fachbereich TK/IT gibt es eine relativ statische Regie der tariflichen Auseinandersetzungen. Es steht von Anfang an fest, in welcher Verhandlungsrunde die Forderungen vorgetragen und begründet werden, wann frühestens die ersten Warnstreiks stattfinden und nach welcher Verhandlungsrunde ein Abschluss erwartet werden kann.
Für die Kapitalseite eine eher komfortable Situation, da wir in hohem Maße berechenbar sind. Allerdings nehmen das auch die Mitglieder und ihre Kolleginnen und Kollegen wahr. Das Wort „Tariffolklore“ beschreibt recht gut, wie die Kolleginnen und Kollegen zunehmend die Tarifauseinandersetzungen und Warnstreiks verstehen. Nicht als notwendiges Mittel, um Forderungen durchzusetzen. Der Mobilisierungsfähigkeit ist dieses Verständnis nicht zuträglich.
Rückgang der Beteiligungsmöglichkeiten
In unserem Fachbereich hat die Diskussion der Forderungen zu den anstehenden Tarifrunden eine lange Tradition, für viele Betriebsgruppen ist diese Diskussion ein zentraler Bestandteil ihrer Arbeit. Resultat dieser Diskussionen ist, zusammengefasst, ein bunter Strauß von Themen und Forderungsdimensionen. Aber die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass die Tarifforderung vom Bundesfachbereichsvorstand im Wesentlichen entlang der Forderungsempfehlung beschlossen wird, die das gleiche Gremium in die Mitgliederdiskussion gegeben hatte. Das „Große Ganze“ gewinnt hier im Allgemeinen die Oberhand.
Diese Begrenzung der Beteiligung setzt sich fort bei der Frage, ob es Änderungen an der Verhandlungs- und/oder Arbeitskampfstrategie geben sollte. In der herrschenden Dramaturgie gibt es nur ein „Mehr Streiken“ oder „Weniger Streiken“, unabhängig von den Rückmeldungen der Streikenden.
Die eingeschränkte Beteiligung findet ihren Abschluss zum Ende der Tarifauseinandersetzung, wenn die Große Tarifkommission (bestehend aus der Verhandlungskommission und dem Bundesfachbereichsvorstand) die Empfehlung zur Annahme des Ergebnisses gibt. Dazwischen liegen zwar die Regionalkonferenzen als Streikdelegiertenversammlungen, im Allgemeinen folgt der Bundesfachbereichsvorstand jedoch in seinem Beschluss der Empfehlung der Großen Tarifkommission.
Für die primäre Machtressource der Gewerkschaften ist die Fähigkeit, die Kolleginnen und Kollegen für Arbeitskämpfe zu mobilisieren, zwingende Voraussetzung.
Die sich ändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (äußere Faktoren) wirken sich zunehmend negativ auf unsere Mobilisierungsfähigkeit aus. Dem können wir nur etwas entgegensetzen, wenn wir an den gewerkschaftsinternen Faktoren etwas ändern. Durch Ausweitung der Mitgliederbeteiligung, durch offensiveres Vorgehen bei der Durchsetzung von Forderungen oder der Abwehr von Angriffen, durch kürzere Tarifvertragslaufzeiten.
Hier unsere Frage:
Für Menschen ist es lebenswichtig, das Gefühl zu haben, etwas zu bewirken – habt ihr das Gefühl, in Tarifrunden etwas bewirken zu können?